"Inspiration as
a Service"
Bei Christian Kaspar Schwarm geht es um Zukunft. Um die des Unternehmens, in dem Sie arbeiten und das Ihnen vielleicht sogar gehört, um Ihre persönliche Zukunft oder um die unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Der Anspruch: Perspektiven und Möglichkeiten entwickeln. Keine üblichen – sondern ungedachte, unerwartete, inspirierende. Wie das gelingt? Indem man es sich selbst erlaubt.
Ein Gespräch
Die MIT Review fragte vor einiger Zeit provokant: „Is Thinking a Lost Art at Your Company?“ Haben wir alle das Denken verlernt?
Als Individuen hoffentlich nicht. Auf der kollektiven Ebene allerdings – in einem Unternehmen – ist es in der Tat eine riesige Herausforderung, kreatives strategisches Denken zu befördern, obwohl alle fortlaufend nach Innovationen rufen. In hunderten von Meetings besprechen wir Dinge, wir planen, organisieren, delegieren, manchmal wird taktiert oder gestritten … aber kaum mehr wirklich gedacht. Damit meine ich jenes schöpferisch-innovierende Denken, das in den meisten Organisationen kulturell nicht mehr vorgesehen ist und auch durch den Einsatz kreativer Gruppenprozesse nicht wirklich wiederbelebt wird. Verständlicherweise suchen wir in der Wirtschaft nach reproduzierbaren und skalierbaren Prozessen. Wir sollten aber verstehen, dass Kreativität und Innovation zunächst die Unkontrollierbarkeit suchen und benötigen. Und in diese Unkontrollierbarkeit können wir uns nur denkend vorwagen. Ohne Regeln, ohne Grenzen, ohne Moderation, ohne Zettelchen und Punkte. Mit meinen Erfahrungen und mit meinem Ort – der Library – biete ich einen Resonanzraum für solche Expeditionen und Diskurse. In meiner Arbeit geht es also darum, eine klar definierte Fragestellung mit meinem Gegenüber in einer Tiefe zu durchdenken, für die im hektischen Berufsalltag ansonsten kein Platz mehr ist. Zusammen finden und entwickeln wir die besten Handlungsoptionen. Für das Unternehmen, für eine Marke oder für die entscheidenden Menschen.
Die Kalender vieler Führungskräfte sind durchgängig im Halb- oder Viertelstundenrhythmus verplant, zur Entwicklung einer neuen Strategie brauchen manche Unternehmen trotzdem Jahre. Ein Paradox?
Eine Strategie, deren Entwicklung Jahre benötigt, ist heute vermutlich schon veraltet, bevor sie überhaupt verfolgt werden kann. Oder aber so pauschal und allgemein gehalten, dass sie keine Strahlkraft und Wirkung entfalten kann. Wenn es um unseren übergeordneten Handlungsrahmen und damit um unsere zukünftigen Entscheidungen geht, müssen wir so zügig wie gründlich vorgehen – so spitz wie ausgeglichen – so flexibel wie fundiert – und so kreativ wie realisierbar. Diese scheinbaren Widersprüche müssen wir heute tatsächlich ertragen und auflösen. Leider passen unsere Unternehmens- und Meetingkulturen noch nicht zu solchen Anforderungen, die eine hyperkomplexe Welt an uns stellt. Ich selbst denke und handle mit meinem Unternehmen Schwarm Projects deshalb viel eher in Wochenabschnitten, als in einzelnen Tagen, geschweige denn in Stunden. Das erscheint mir – inklusive der dazu meist gehörenden Abrechnungsprozesse anderer Berater – doch ziemlich überholt. Die daraus resultierende, deutlich "langwelligere" Zusammenarbeit tut nicht nur mir ungeheuer gut, sondern genauso der Zusammenarbeit mit meinen Kunden und Partnern: Interessanterweise wird alles intensiver – und schneller. Würde ich stattdessen andauernd „Kalender-Tetris“ spielen, hätten wir nicht die für spannende Zukunftsprojekte unbedingt erforderlichen Zeitinseln und Denk-Oasen.
Obwohl Du viel Wert darauf legst, in der Strategieentwicklung modellunabhängig zu arbeiten, nutzt Du in der Analyse ein in Deiner Branche noch kaum verbreitetes Tool.
Allerdings – und zwar „Spiral Dynamics“. Und es ist viel mehr als nur irgendein weiteres Tool. Es handelt sich um ein Meta-Modell, das meinen eigenen Blick auf die Welt extrem geweitet hat. Diese empirische Theorie geht davon aus, dass es in unserer Geschichte immer dann zu revolutionären Sprüngen in der Weltanschauung der Menschen kam, wenn das vorherige Wertegerüst nicht mehr in der Lage war, auf die wesentlichen Herausforderungen einer bestimmten Zeit adäquat zu reagieren. Ein Beispiel: In Deutschland durchlaufen wir seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vier typische Stufen von Lebensgefühl, die alle parallel existieren, deren Schwerpunkte sich in der Gesellschaft aber verschieben: Erstens die Genügsamkeit und das Pflichtbewusstsein der ersten Nachkriegszeit. Zweitens der Fortschrittsglaube der Wirtschaftswunderjahre, der nahtlos in die digitale Ära überging und auch heute noch hochpräsent ist. Drittens das Aufkommen eines globalen Verantwortungsgefühls, das Ende der 60er mit den Studentenrevolten begann, in den 80ern die Friedensbewegung trieb und sich jetzt im Kampf gegen den Klimawandel zeigt. Und viertens ein noch junges Wertegerüst, dass neue Lösungen vor allem in der intelligenten Überlagerung und Kombination entdeckt – wir betreten jetzt das transdisziplinäre Zeitalter. Spiral Dynamics macht uns bewusst, dass unser individueller Blick auf die eigene Umwelt nicht „gottgegeben“, sondern von bestimmten Überzeugungen geprägt ist. Ab dem Moment, ab dem wir das erkennen, können wir viel differenzierter auf das Geschehen blicken und es öffnen sich sofort neue Handlungsräume. Seit Jahren integriere ich Spiral Dynamics auf eine sehr zeitgenössische Weise in die Strategieentwicklung und bin damit auf meinem Spielfeld sogar unversehens zu einem Pionier geworden. Im Change-Management und in der Organisationsentwicklung ist das Modell längst etabliert – die Welt der Strategen, die größtenteils zahlengetrieben ist, agiert hier noch recht konservativ.
Spiral Dynamics ist ja ein Instrument der sogenannten „Integralen Theorie“, die unter ihrem Dach unterschiedliche Denkschulen vereint …
Spiral Dynamics gilt als ein Schlüsselelement der Integralen Theorie, die unter anderem von Ken Wilber formuliert wurde. Sie versucht, natur-, human- und geisteswissenschaftliches Wissen sinnvoll zusammenzuführen – und verbindet es zusätzlich mit alten Weisheitstraditionen und modernen spirituellen Erkenntnissen. Einiges daraus fließt in meine Praxis ein, die zusätzlich von eigenen Erfahrungen und Vorgehensweisen geprägt ist. Wenn es zum Beispiel um das Denken in Alternativen geht, helfen meine über zwanzig Jahre Erfahrung aus dem Unternehmertum, aus der Kreativwelt, aus der Kunst und aus der Musik.
Was macht eine integrale Haltung so zeitgemäß?
Den Begriff ‚integral‘ nutze ich im Sinne von „umfassend, ganzheitlich und ausbalanciert“. Eine integrale Strategie speist sich daher genauso aus Fakten, Daten und Zahlen wie aus unternehmerischer Intuition und Kreativität. Sie berücksichtigt unterschiedliche Sichtweisen und synchronisiert die individuellen Wünsche der handelnden Menschen mit den definierten Zielen ihres Unternehmens. Unterm Strich versucht die integrale Strategiearbeit also gar nicht erst, die Komplexitäten unserer Welt zu minimieren, sondern antizipiert diese von vornherein und mit Freude – um dann innovativ auf diese reagieren zu können. Sie nährt nicht länger die Illusion, dass alle Variablen berechnet und alle Widersprüche aufgelöst werden können. Im Gegenteil: Kontraste, Unschärfen und Vakuen sind ihr die liebsten Rohstoffe, um daraus neue Lösungen zu bauen. Eine kluge Freundin, von Beruf Psychotherapeutin, sagte vor kurzem: „Ein Gefühl der Sicherheit erlangen wir nicht, indem wir die Unsicherheit verdrängen – sondern erst dann, wenn wir sie voll und ganz akzeptieren.“ In diesem Sinne mehr Komplexität zu wagen, ist in vielerlei Hinsicht ausgesprochen lohnend und zudem rasend spannend.
Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit bietest Du an? Wie startet ein Projekt?
Ich ziehe nichts aus Schubladen und verkaufe keine Pakete – tatsächlich gleicht keines unserer Projekte einem anderen. Und dennoch gibt es typische Szenarien. Erstens und sozusagen meine Einstiegsdroge: gemeinsame Impulstage. Solche unkomplizierten, aber am Ende manchmal recht umwälzenden Workshops mache ich mit sehr kleiner Besetzung oder direkt als Eins-zu-eins-Sparring. Zweitens: die Entwicklung umfassender Strategien und Konzepte. Inhaltlich ist hier alles möglich – über die letzten Jahre kam es aber immer häufiger dazu, dass Kunden mit uns in der Unternehmensstrategie begannen und wir die Resultate dann gemeinsam in die Identität, in die Positionierung und bis ins Branding überführten. Hier kann ich meine Vergangenheit als Agenturgründer tatsächlich kaum verleugnen: Ich ertrage es einfach nicht, wenn Strategien hochabstrakt und essenzielle Ideen sterbenslangweilig transportiert werden. Dieser Brückenschlag ist ungewöhnlich, hier haben wir es normalerweise mit getrennten Silos und Verantwortlichkeiten zu tun. Am Ende ist es meine Passion, zusammen mit unseren Kunden unerwartet gute Antworten auf ihre schwierigsten Fragen zu finden.
Als jemand, der sein Berufsleben als Journalist begann und dann fast zwei Jahrzehnte Agenturinhaber war, betonst Du oft, welche Bedeutung den richtigen Worten zukommt.
Absolut. Ich habe so oft miterleben müssen, wie besondere Ideen und Konzepte gescheitert sind, weil sie nicht in die richtige Form gebracht und nicht mit den richtigen Worten vermittelt wurden. Gerade wenn es um eine gute Strategie, eine anspruchsvolle Veränderung oder um ein neues Angebot geht, ist eine angemessene und authentische Sprache erfolgsentscheidend. Aus diesem Grund ist das für mich ein inhärenter Teil der Strategiearbeit. Ich unterstütze ausgesprochen gerne auf diesem Spielfeld und bezeichne es als „kreativen Support“. Mir gefällt daran das Bild einer tatsächlichen Überführung von strategischen Gedanken in die lebendige Wirklichkeit.
Muss nach Berlin kommen, wer mit Schwarm Projects arbeiten möchte?
Eine authentische Begegnung gelingt heute durchaus über jede räumliche Distanz. Deshalb bieten wir natürlich alle Formen der Zusammenarbeit auch „remote“ an und haben damit gerade in den letzten Jahren nur beste Erfahrungen gemacht. So wichtig, dass wir in Zeiten wilden Wandels handlungsfähig bleiben und meistens nur eine Frage des richtigen Setups. Hin und wieder reise ich natürlich auch gerne. Abgesehen davon erweist sich meine Library immer wieder als wundervoller Platz zum Denken. Für mich ist das hier ohne Zweifel ein sehr besonderer Ort, in einer schon fast magischen Umgebung. Wir sind in Berlin – und doch inmitten der Natur. Ein weiterer, überwundener Gegensatz, den ich so kaum für möglich gehalten hätte.